Getanzte Märchenwelt

Grimms Reisen seit 4. Mai in der Blauen Halle
Die verzauberte neue Tanzproduktion Grimms Reisen ist seit 4. Mai in der Theaterfabrik Blaue Halle zu sehen.

Grimms Reisen untersucht, was die berühmte Märchensammlung der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm bis heute ansprechend macht. Die einzelnen Szenen des Stücks zitieren die vielseitigen Geschichten und lassen dabei viele der bekannten Charaktere wie Rapunzel, Schneewittchen, Aschenputtel oder Rotkäppchen und den bösen Wolf zum Leben erwachen. Ballettdirektorin Dominique Dumais teilt sich den Abend mit Gastchoreografin Wubkje Kuindersma. Beide tauchen tief in die Welt der Märchen ein und verweben die Geschichten – jede auf ihre Weise – mit Fantasie und Verspieltheit ebenso wie mit Tiefgang zu einer bewegenden Entdeckungsreise.

GESAMMELTE MÄRCHENWELT

Die Grimmsche Sammlung erschien zwischen 1812 und 1815 als Kinder- und Hausmärchen. Sie gilt als erste schriftliche Märchensammlung in Deutschland, denn Märchenerzählen war zuvor eine rein mündliche Tradition. Sie vermittelt klare Moralvorstellungen. Das spiegelt nicht zuletzt den juristischen Hintergrund der Familie (die Brüder ebenso wie ihr Vater waren Rechtswissenschaftler) und die Erziehung nach protestantischen Werten wider (Ur- und Großvater waren beide Pfarrer der reformierten Landeskirche). Gut und Böse sind eindeutig definiert, Taten und deren Konsequenzen, ob gut oder schlecht, werden aufgezeigt. Die Erzählweise bleibt dabei meist sachlich und leicht verständlich. Die Geschichten können in ihren unverblümten Beschreibungen zuweilen durchaus grausam sein. Sabine Lutkat von der Europäischen Märchengesellschaft erklärt, dass Märchen grundlegende Lebenserfahrungen aufgreifen, elementare Ängste thematisieren und Wünsche sowie Hoffnungen ansprechen: „Wir müssen uns auch mit den dunklen Seiten des Lebens auseinandersetzen. Aber egal, wie schlimm es zwischendurch auch ist, du kannst da durchkommen.“* Ein Leitgedanke der Brüder Grimm war, dass jeder Mensch in der Lage sein sollte, durch Bildung, Arbeit und Tugendhaftigkeit in der Gesellschaft aufzusteigen. So beginnen ihre Märchen oft mit jemandem, der sich in einer schwierigen Lage befindet, durch Intelligenz, Neugierde und Ausdauer diese Schwierigkeiten aber schließlich überwinden kann.

GETANZTE MÄRCHENWELT

Die niederländische Choreografin Wubkje Kuindersma ist erstmals am Mainfranken Theater. Sie wuchs, wie so viele, mit den Geschichten auf, bekam sie von ihrer Familie vor- gelesen. „Als Kind liebte ich es, mich in Rotkäppchen hineinzuversetzen, das allein durch den Wald geht. Dieses Bild hatte etwas Kraft- volles an sich: ein kleines, aber furchtloses Mädchen, das sich ins Unbekannte wagt. Es ist eine Figur, die mich bis heute auf besondere Weise anspricht, diese stille Tapferkeit, und wie dieses junge Mädchen, obwohl die Gefahr so nah ist, der Situation auf so kluge Weise entkommt. Ja, mit Rotkäppchen habe ich mich buchstäblich auf diesen Weg und Grimms Reise begeben.“

Dominique Dumais erklärt über ihre Herangehensweise an den bekannten Märchenstoff:
„Ich habe mich anfangs sehr auf die Brüder konzentriert, also habe ich viel über sie gelesen, gerade im Hinblick auf die Volkstraditionen in Deutschland zu dieser Zeit. Bei ihrer Geschichtensammlung hat mich beim Lesen die Einfachheit am meisten überrascht. Ich habe beschlossen, mir diese geradlinige Einfachheit auch für meine Choreografie zur Aufgabe zu machen. Wie kann ich mich bei jeder Geschichte fokussieren? Was ist das Wichtigste, das Schlüsselelement in einer Erzählung? Und darauf habe ich mich dann jeweils versucht zu konzentrieren.“

Tatyana van Walsum (Bühnen- und Kostümbild), die für das Mainfranken Theater zuletzt das Wunderland von Alice (Spielzeit 2022/23) entwarf, hat für Grimms Reisen die Theaterfabrik Blaue Halle in einen wundersamen Märchenwald verwandelt. Dabei liegt der Fokus auf einer symbolischen Farbgebung: Der erste Teil (Choreografie Kuindersma) ist in Schwarz, Weiß und Rot gestaltet, zur Veranschaulichung der Dualität von Licht und Dunkel, Bösem und Gutem, und Blutrot für die Liebe und das Leben. Im zweiten Teil (Choreografie Dumais), in dem die einzelnen Märchen stärker ineinander verwoben sind, haben sie eine klare Farbzuweisung über die Kostüme: Orange- Gelbtöne für Hänsel & Gretel, Grüntöne für Rapunzel und Blautöne für Aschenputtel.

DER KLANG DER MÄRCHENWELT
Das Tanzensemble wird vom Philharmonischen Orchester Würzburg unter der Musikalische Leitung von Kapellmeister Ulrich Cornelius Maier begleitet. Im ersten Teil fokussiert sich Kuindersma auf Kompositionen von Arvo Pärt. „Seine Klangwelt, geheimnisvoll und leuchtend, hat eine tiefe Resonanz bei mir. Auch hier gibt es Dunkelheit und Licht, ebenso wie in den Märchen“, so Kuindersma. Für den zweiten Teil wurde eine vielfältige Mischung aus Kompositionen zusammengestellt, die dazu beitragen, die unterschiedlichen Charaktere musikalisch zu veranschaulichen und gleichzeitig die richtige Atmosphäre für die einzelnen Märchengeschichten zu schaffen. Von klassischer Märchenballettmusik, wie Serge Prokofieffs Cinderella oder auch Maurice Ravels Mamèrel’oye, über Benjamin Britten und Igor Stravinsky, bis hin zu zeitgenössischen Kompositionen von John Adams. Die unterschiedlichen Musiknummern des Programms sind feinfühlig durch das Sounddesign Davidson Jaconellos verbunden, der auch schon bei Dumais’ Stücken Chaplin! und Eros mitwirkte. So entsteht eine rundum verzauberte Märchenwelt und das Publikum wird mitgenommen auf eine bewegende Entdeckungsreise.

NÄCHSTE VORSTELLUNG
Sonntag, 11. Mai 2025 | 18:00Uhr
Sonntag, 8. Juni 2025 | 18:00 Uhr
Freitag, 13. Juni 2025 | 19:30 Uhr
Dienstag, 1. Juli 2025 | 19:30 Uhr
Mittwoch, 9. Juli 2025 | 19:30 Uhr

Einführung jeweils 35 Minuten vor Beginn

Spielort: Theaterfabrik Blaue Halle

Weitere Vorstellungen und Informationen unter mainfrankentheater.de/grimmsreisen

*Lutkat, Sabine, zitiert aus: „Und wenn sie nicht gestorben sind…“, Deutschlandfunk, 7.10.2024