Notizen aus der Intendanz

Alles für den Augenblick

Eine Zeitreise durch die Theatergeschichte
Stellen Sie sich vor: Es ist früher Morgen, noch vor Sonnenaufgang im Frühjahr in Südeuropa. Elektrizität gibt es noch nicht. Sie stehen auf, rüsten sich mit Lebensmitteln für den ganzen Tag und machen sich auf den Weg. Ihr Ziel ist das Theater der Stadt, vielleicht 40 Kilometer Fußweg entfernt, zum Beispiel von Marathon bis Athen. Das alles nur, um einen Tag im Theater der Stadt zu verbringen. Offenbar war das Theater vielen Athener Bürgerinnen und Bürgern vor über 2500 Jahren so wichtig, dass die beschwerliche lange Fußanreise sie nicht davon abhalten konnte, sich anlässlich der großen städtischen Feste auf den Weg zu machen.

So stehen schon große Anstrengungen am Anbeginn der abendländischen Theatertradition, auch auf Seiten der Zuschauenden. Das Theater war offensichtlich von jeher ein zentrales Anliegen der Bürgerschaft einer Stadt – oder, wenn wir uns die Ausdehnung des Stadtstaats Athen ansehen, würden wir heute eher von der Bürgerschaft einer Region sprechen. Genauso steht heute das Mainfranken Theater für Würzburg und die Region Mainfranken.
Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Mühen für einen Theaterbesuch geringer. Zwischenzeitlich reisten die Theatermacher von Kleinstadt zu Kleinstadt mit ihrem „Thespis-Karren“, die Wege für das Publikum wurden kürzer, die Theatermacher hingegen wurden zum „fahrenden Volk“. Am Ende dieser langen Entwicklung der europäischen Theatergeschichte steht in vielen deutschen Städten in zentraler Lage ein stattliches Theatergebäude, zu dem Abend für Abend das Publikum strömt. So ist es beinahe auch bei uns in Würzburg. Allerdings gibt es gerade noch einige vorübergehende Einschränkungen.

Das Theatergebäude ist immer noch eine Baustelle, die stattliche Fassade des Neubaus verspricht zwar eine rosige Zukunft, ist aber heute offenkundig noch nicht in Betrieb. Und die Pandemie erlegt dem Publikum zusätzliche Mühen auf: Tagesaktuelle Schnelltests zum 2G-Status hinzu sind die Eintrittsvoraussetzung. Und die Spielstätten sind gerade nicht im Zentrum, sondern am Stadtrand, in der Zellerau, der Sanderau oder der Dürrbachau.
Interimsspielstätte Theaterfabrik Blaue Halle in der Dürrbachau | Foto: Nik Schölzel
Kleine Wunder
Umso mehr freue ich mich, dass das Publikum dennoch zu uns kommt, Abend für Abend sind die wenigen Plätze, die wir vergeben können, ein begehrtes Gut. Wenn ich am Einlass stehe, bemerke ich immer wieder, und vielleicht mehr als zu „normalen“ Zeiten, wie wichtig vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern das Theater und das Konzert sind. Selbst Anreisen mit dem Bus oder der Straßenbahn an den Stadtrand sowie die obligatorischen Schnelltests halten viele Menschen nicht davon ab, Mühen für diesen unwahrscheinlichen Moment einer Theateraufführung auf sich zu nehmen. Denn tatsächlich sind Theateraufführungen und Konzerte letztlich kleine Wunder: So viele Künstlerinnen und Künstler müssen auf die Stunde genau äußerst fit sein, kaum gesundheitlich beeinträchtigt, um diese Höchstleistungen zu erbringen. Zudem müssen viele weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilweise stundenlang alles vorbereitet haben, damit das Theater- oder Konzertereignis stattfinden kann. Und dann muss auch noch der Funke überspringen, zwischen den Zuschauenden und denen auf der Bühne. Wenn das gelingt, wird sie für alle erfahrbar, die Magie des Augenblicks und das kleine Wunder einer Live-Aufführung. Im Kern ist das sicherlich, neben der Möglichkeit, sich als Teil der Bürgerschaft wahrnehmen zu können, bis heute die Faszination des Theaters, die sich nun schon so lange gehalten hat, allen Beschwerlichkeiten zum Trotz. Selbst das Aufkommen des Films und des Fernsehens konnten dem Medium Theater nichts anhaben. Und so relativiert sich hoffentlich auch die Pandemie für die Kultur möglichst bald wieder. Denn die Zukunft des Theaters als Raum, in dem Möglichkeiten der Gesellschaft für die Gesellschaft vorgeführt und verhandelt werden, soll offenkundig erhalten bleiben. Was sind da schon 40 Kilometer Fußweg?
Tatsächlich sind Theateraufführungen und Konzerte letztlich kleine Wunder: So viele Künstlerinnen und Künstler müssen auf die Stunde genau äußerst fit sein, kaum gesundheitlich beeinträchtigt, um diese Höchstleistungen zu erbringen.
Markus Trabusch
Beitrag von