Theater(-bau-)land Deutschland

Ein Gespräch über die Sanierung in Würzburg
Deutschland ist ein Bühnendorado. Mehr als 800 Spielstätten mit rund 260.000 Plätzen stehen dem Publikum allein in den öffentlich getragenen Theaterbetrieben hierzulande zur Verfügung. Doch die sie umgebenden Mauern bröckeln bisweilen…
Viele Theatergebäude, nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut oder komplett neu errichtet, kommen in die Jahre. Und so stehen und standen in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren zahlreiche Bauprojekte an. Von Rostock bis Augsburg, von Gütersloh bis Erfurt, von Berlin bis Würzburg: Deutschland saniert seine Bühnen oder plant diese gleich neu. Denn es mangelt an vielem. Es geht um Brandschutz und Bühnentechnik, um Belüftung und Akustik, um ein zeitgemäßes Besuchererlebnis und einen wirtschaftlichen Spielbetrieb. Im Gespräch mit der Redaktion berichten Markus Trabusch, Intendant, und Dirk Terwey, Geschäftsführender Direktor, über das Bauprojekt des künftigen Würzburger Staatstheaters.
BRITTA GRIGULL: Würzburg saniert und erweitert sein Theater und ist dabei bundesweit in bester Gesellschaft. Schaut man sich im Vorfeld möglichstviele andere Bauvorhaben an oder gehtman bewusst einen eigenen – lieber unbeeinflussten – Weg?

DIRK TERWEY: Es wurde hier vor Ort über viele Jahre intensiv darüber diskutiert, wie die damals längst überfällige Generalsanierung des Hauses zu bewerkstelligen sei. So galt es, neben alternativen baulichen Lösungen für zumeist sehr komplexe Aufgabenstellungen auch die Frage zu klären, wie ein Theaterbetrieb parallel zu den Baumaßnahmen funktionieren kann. Für jeden Theaterstandort muss letztendlich ein spezifischer eigener Lösungsansatz gefunden werden. Dabei haben wir natürlich auch immer wieder versucht, von den Erfahrungen anderer Bauprojekte zu profitieren. Gleichzeitig bringen die externen Fachplaner wie das Architekturbüro PFP eine Vielzahl von Kenntnissen auch aus anderen Projekten ein. Wichtig war es zudem, den gemeinsam im Sommer 2015 mit der Machbarkeitsstudie
erarbeiteten spezifischen Würzburger Lösungsweg entschlossen umzusetzen und sukzessive weiterzuentwickeln.
Markus Trabusch (links) und Dirk Terwey (rechts) | Foto: Nik Schölzel
BRITTA GRIGULL: Wo hat das Mainfranken Theater bei seinem Sanierungsvorhaben einen ganz eigenen Weg eingeschlagen?

DIRK TERWEY: Die Generalsanierung mit dem Ausbau des Bestandsgebäudes ist und bleibt die Pflicht- und Hauptaufgabe, die zeitgemäße Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten sicherstellt und die Arbeitsfähigkeit unseres Mehrsparten-Theaters für die kommenden Jahrzehnte garantiert. Gleichzeitig ergänzen und erweitern wir Funktionsbereiche im Neu- und Altbau wie einen zeitgemäßen Orchesterprobenraum, Probebühnen oder Werkstattflächen. Alle Theaterfunktionen werden künftig unter einem Dach organisiert sein. Das sichert und schafft kurze Wege, effiziente Produktionsstrukturen und damit einen wirtschaftlichen Betrieb unseres Hauses. Gleichzeitig schaffen wir hier in Würzburg mit der Sanierung vor allem einen vielfachen kulturellen Mehrwert für die Zukunft: So eröffnen wir mit dem Neubau im kommenden Sommer eine neue Theaterspielstätte mit 330 Plätzen. Gemeinsam mit dem sanierten Großen Haus ermöglicht das noch nie dagewesene Optionen zur Gestaltung eines vielfältigen künstlerischen Spielbetriebs. Der offen und transparent angelegte Neubau öffnet das Theater dabei auch programmatisch und schafft für die Menschen aller Altersgruppen einen neuen kulturellen Erlebnisraum im Herzen der Stadt. Ein sicherlich bundesweit einzigartiger Gedanke ist der transparent ins Kopfgebäude integrierte Ballettsaal. Dieser „Werkraum“ wird in einem öffentlichen Theaterfoyer eine ganz besondere Atmosphäre schaffen. 

BRITTA GRIGULL: Welches Theater bringt Sie ins Schwärmen?

MARKUS TRABUSCH: Viele! Die Generalsanierung der Münchner Kammerspiele hat zu Beginn des Jahrtausends gezeigt, wie selbst in historischer Bausubstanz ein zeitgemäßes, gut funktionierendes Theater mit allen technischen Möglichkeiten erschaffen werden kann. Der Cameri-Komplex in Tel Aviv ist für mich als Neubau immer noch beispielgebend: Ein autarkes Opernhaus und ein Schauspiel-Multiplex unter einem Dach beeindrucken
bei jedem Besuch wieder, auch als Ausdruck des Stellenwerts von Theater in dieser Nation. Genauso wie beispielsweise das generalsanierte Gebäude des Mozarteums in Salzburg: Wenn eine Gesellschaft, eine Stadt oder ein Staat die gesellschaftliche Bedeutung von Theater hoch schätzt, bauen diese Gemeinschaften auch Gebäude, die diesem Schwärmen Ausdruck verleihen – und die Theatermachern ein Instrument an die Hand geben, um darstellende Kunst und Musik von höchster Qualität zu erschaffen. In Bayern wird es dieses Jahr sogar die Eröffnung von zwei Theaterneubauten geben: das Münchner Volkstheater und wir hier in Würzburg, dann aufgewertet zum Staatstheater. Darüber kann man schon ins Schwärmen kommen –  und sich freuen, Teil dieser Geschichte zu sein.

BRITTA GRIGULL: Zu Beginn der Arbeiten fanden sich innerhalb der Baugrube für den Neubau noch massive Reste vom Ludwigsbahnhof, mit denen niemand gerechnet hatte, weil sie so nicht dokumentiert waren. Gab es bislang weitere ungeahnte Herausforderungen?

DIRK TERWEY: Die Erfahrungen mit dem Ludwigsbahnhof haben gezeigt, dass wir in jeder Bauphase mit unangenehmen Überraschungen rechnen müssen. Auch die aktuelle Bestandssanierung wird nicht problemlos durchlaufen. Leider führen Herausforderungen oft zu unmittelbaren Störungen in der Bauabwicklung und damit zu notwendigen Anpassungen in den Planungen. Natürlich kämpfen wir auch seit dem Ausbruch der Pandemie mit den zusätzlichen Belastungen in dieser besonderen Zeit. Das geht auch an der Baustelle nicht spurlos vorüber: Nur ein Teil der operativen Abstimmungen lässt sich per Video-Schalte lösen. Lieferketten werden infrage gestellt. Hygienestandards müssen gewährleistet sein. Abläufe drohen hierbei ins Stocken zu geraten. Es ist dennoch schlicht beeindruckend, wie alle Beteiligten ungeachtet dessen versuchen, das Mögliche umzusetzen und die Baustelle operativ voranzutreiben.

BRITTA GRIGULL: Von außen nimmt man zurzeit wenig Veränderung wahr – was hat sich in den letzten Monaten dennoch getan?

MARKUS TRABUSCH: Ein Theater ist neben einer Gebäudehülle auch immer eine komplexe Maschine. Nicht nur im bühnentechnischen Sinne mit vielen Seilzügen und Motorwinden, sondern
auch mit einem ganz besonderen Lüftungssystem, mit einer spezifischen Beleuchtungs- und Tontechnik oder einem Bühnenboden, der speziell für tägliches „Hineinspaxen“ zum Befestigen von Bühnenbildern ausgelegt ist. Die immensen Vorbereitungen für diese komplexe Technik und die Einbauten laufen derzeit. All das sieht man von außen zwar nicht, doch schon bald wird der Neubau gerüstfrei sein. Und dann wird auch die charakteristische Glasfassade sich endlich zeigen, und das Theater darf seine ersten Schritte im Gebäude unternehmen: ein vorsichtiges
Ausprobieren, ob all das Geplante und Gebaute auch schon so funktioniert, wie es soll… Eine komplexe Maschine eben.

BRITTA GRIGULL: Eine weitere deutlich sichtbare Entwicklung wird es dieser Tage geben, wenn ein Teil des zum Parkhaus gerichteten Bestandsgebäudes abgerissen wird. Warum ist das nötig?

DIRK TERWEY: Mit dem Beginn des zweiten Bauabschnitts läuft seit Sommer 2020 parallel zum Neubau vorne die Sanierung des Hauptgebäudes. Innerhalb des Bestands wurden bereits umfangreiche Abbrucharbeiten durchgeführt. Es läuft derzeit die Demontage der haus- und bühnentechnischen Anlagen, und die notwendige Schadstoffsanierung wird umgesetzt. Der Zuschauersaal ist bereits vom Gestühl befreit, und die Foyerflächen sind, wie der gesamte Backstage- Bereich, derzeit quasi in einen Rohbauzustand zurückversetzt worden. In den kommenden Tagen beginnt dann der statische Abriss im hinteren Gebäudeteil. Der ist notwendig, da das Theater zur Tiefgarage verlängert und gleichzeitig aufgestockt wird. Zuvor muss die alte Bausubstanz weichen. Künftig wird ein zeitgemäßer Orchesterprobenraum auf dem Gebäude positioniert sein, und es werden neue Werkstattbereiche für die Kostümabteilung durch Aufstockungen des jetzigen Gebäudes geschaffen.

BRITTA GRIGULL: Welche Räume des künftigen Staatstheaters können die Besucher bereits erleben,
wenn das neue Kleine Haus eröffnet, während das Stammhaus noch saniert wird?

MARKUS TRABUSCH: Nach der Eröffnung des Neubaus wollen wir auch das ganze Gebäude präsentieren, zum Beispiel im Rahmen von Führungen. Es ist ja schließlich die Bühne, die die Gesellschaft sich gebaut hat, um Theater in allen Facetten erleben zu können. Höhepunkt ist dabei das neue Kleine Haus, das es so bisher in Würzburg nicht gegeben hat. Es wird völlig neue Spielweisen im Schauspiel ermöglichen, ebenso neue Tanzformate, und es kann auch ein Ort für die zeitgenössische Oper sein. In der Übergangszeit, solange noch das Große Haus saniert wird, werden wir noch eine Probebühne zur Spielstätte umwidmen, um auch alle Abonnements bedienen zu können.

BRITTA GRIGULL: Wer freut sich am meisten auf das neue Kleine Haus – die Schauspieler, Tänzer, Sänger, Orchestermusiker?

MARKUS TRABUSCH: Ich bin mir sicher, dass alle Künstler sich auf das neue Kleine Haus freuen. Natürlich wird das Schauspiel mit diesem Gebäude ein völlig neues Rückgrat bekommen, das bislang ja dominant durch die eher bescheidene Kammer abgedeckt wurde. Die Tänzerinnen und Tänzer erwarten sehnlichst, wieder im Theater und in einem spektakulären Ballettsaal ihrer Arbeit nachgehen zu können. Und ich weiß, dass die Sängerinnen und Sänger und das Orchester sich bereits auf die Uraufführung im Musiktheater freuen, die wir gerade für das Kleine Haus planen. Sicherlich ein Neubau für alle! Übrigens bis hin zur Maskenabteilung, die einen sehr schönen Arbeitsraum unterm Dach bekommt.

BRITTA GRIGULL: Und wie sieht das künstlerische Konzept für das Interim aus, was dürfen die Besucher an neuen Formaten, neuen Eindrücken, neuem Repertoire erwarten?

MARKUS TRABUSCH: Einige bewährte Formate aus der Kammer werden sich genauso im neuen Gebäude finden wie bislang in Würzburg kaum Gezeigtes: Vieles aus der zeitgenössischen Dramatik war für die Kammer zu groß – und für das Große Haus zu unbekannt oder auch zu klein. Das Kleine Haus wird dafür nun eine Bühne bereiten – und wir werden dem Publikum auch Stücke präsentieren können, die bislang in Würzburg noch nicht gespielt werden konnten. Und das in Räumlichkeiten, die zum Verweilen einladen, und zwar barrierefrei für alle Besucher, die nun auch über Leitsysteme im Boden oder mit einem Aufzug überall ohne fremde Hilfe hingelangen können.

BRITTA GRIGULL: Von welchem Platz im neuen Theater erwarten Sie, dass er Sie am meisten begeistern wird?

DIRK TERWEY: Es gibt für mich derzeit kaum den einen konkreten Platz, sondern eher einen faszinierenden Parcours durch das neue Gebäude. Mit ein wenig Fantasie kann man sich bereits den künftigen Theaterbetrieb im Neubau vorstellen: Das Flanieren der Besucher durch das Foyer und auf unserem spektakulären Stadtbalkon mit den vielen Aus- und Einblicken im gerade eröffneten Gebäude, den Moment kurz vor Vorstellungsbeginn im Kleinen Haus in unseren neuen Sesseln oder nach der Vorstellung den dann möglichen Besuch in unserer Theatergastronomie. Ich freue mich schlicht auf den Moment, an dem nach vielen Jahren der Planung und der Baustelle aus Visionen Realität geworden sein wird.

BRITTA GRIGULL: Wird es bis zur Eröffnung des komplett sanierten Staatstheaters weiterhin ein künstlerisches Programm in der Theaterfabrik Blaue Halle geben? Und wann erwarten Sie, dort überhaupt wieder spielen zu können?

MARKUS TRABUSCH: Wir hoffen natürlich darauf, dort möglichst bald wieder spielen zu können. Immerhin haben wir viele Produktionen im Musiktheater, Schauspiel und Tanz vorbereitet, die nur darauf warten, endlich ihr Publikum zu finden. Vielleicht ist Ostern ja ein guter Zeitpunkt. Aber mehr noch hoffen wir auf die Zeit nach den Sommerferien, wenn wir vielleicht endlich einmal mit voller Platzzahl in der Blauen Halle spielen können. Und nächste Spielzeit kann das Musiktheater endlich auch von dem Graben für das Orchester profitieren, so dass wir Oper wieder in der klassischen Anordnung zeigen können – und das hoffentlich auch mit dem gesamten Orchester ohne Einschränkungen durch die Pandemie. Ich glaube, dass das Würzburger Publikum noch gar nicht die Möglichkeit hatte, den Charme dieser Spielstätte in vollem Umfang zu erleben.
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