Drama - Wahnsinn - Ekstase

Dramaturgin Tabea Hilser über Gateano Donizettis Erfolsgoper
Nach Vincenzo Bellinis I Capuleti e i Montecchi der letzten Saison kommt diese Spielzeit ein weite-
rer Klassiker des Belcanto auf die Bühne der Blauen Halle: Gaetano Donizettis Lucia di Lammermoor, seine wohl berühmteste tragische Oper. Dafür kehrt Matthew Ferraro als Regisseur ans Mainfranken Theater zurück. In der herausfordernden Titelpartie der Lucia gibt Akiho Tsujii ihr mit Spannung erwartetes Debüt.

„Ich brauche Liebe, zerstörerisch-heftige Liebe, ohne die jede Oper kalt bleiben muss.“ Das war die Forderung, die Gaetano Donizetti an einen Opernstoff stellte. Und genau das bot ihm Salvatore Cammaranos Libretto zu Lucia di Lammer-moor, welches Donizetti im Jahr 1835 in nur wenigen Wochen vertonte. Die Urkonstellation der Liebestragödie schlechthin wird hier dargeboten: ein Liebespaar, dessen Beziehung aufgrund eines Familienstreits verboten und vereitelt wird. Das Unheil nimmt seinen Lauf: Zwangsheirat, Mord und eine hochdramatische Flucht in Wahnsinn und Tod sind die Folge.

DIE HANDLUNG

Durch eine günstige Heirat mit dem reichen Adeligen Arturo Bucklaw soll Lucia den Untergang des Geschlechts der Ashtons abwenden. Sie liebt aber Edgardo di Ravenswood, den Erzfeind der Familie, dem sie ewige Treue schwor. Ihr Bruder Enrico will mit allen Mitteln diese unerwünschte Liebe verhindern. Ein gefälschter Brief soll Lucia von der Untreue Edgardos überzeugen. Dies gelingt: Lucia stimmt letzten Endes verzweifelt der Heirat mit Arturo zu. Die Tragödie nimmt ihren Lauf...


EXTREME LEIDENSCHAFTEN UND GEFÜHLSDRAMA

Als Vorlage diente Cammarano der düstere Historienroman The Bride of Lammermoor des epochemachenden Sir Walter Scott aus dem Jahr 1819. Ein Roman, der sich zu dieser Zeit – wie auch viele weitere Romane Scotts – ungemeiner Popularität erfreute. Salvatore Cammarano entwickelte daraus für sein Opernlibretto ein radikales Konzentrat, welches nicht nur die großen historischen und politischen Verstrickungen von Scotts Roman großflächig ausklammert, sondern auch das komplexe Beziehungsgeflecht (in Scotts Roman gibt es über 30 Figuren!) auf die Dreiecksbeziehung zwischen Enrico Ashton, seiner Schwester Lucia und deren Geliebten Edgar- do reduziert. Dabei konzentriert er sich voll und ganz auf die zentralen Charaktere, ihre Emotionen und ihre Konflikte und macht die Oper so zu einem Drama der Gefühle.

IDEALBILD DER ITALIENISCHENROMANTIK

Cammaranos Fokus auf extreme Leidenschaften traf nicht nur Donizettis Geschmack, sondern auch den des Publikums. Die 1830er Jahre waren insgesamt eine erfolgreiche Zeit für Donizetti: Mit seiner Oper Anna Bolena (1830) hatte er einen großen internationalen Durchbruch erreicht, dem eine ganze Reihe weiterer Triumphe folgten wie L’elisir d’amore (1832), Lucrezia Borgia (1833) und Maria Stuarda (1834). Die Uraufführung der Lucia im Jahr 1835 am Teatro San Carlo in Neapel aber war einer der größten Erfolge, die die neapolitanischen Oper bis dato erlebt hatte. Dabei verlor die Oper nach wie vor nicht an Popularität: Gemeinsam mit L’elisir d’amore, La favoritaund Don Pasquale (1843), gehört Lucia di Lammermoor zu jenen Werken Donizettis, die seit damals bis heute eine lückenlose Aufführungstradition vorweisen können.


FLUCHT IN DEN WAHNSINN UND AKT DER BEFREIUNG

Großen Anteil an der enormen Beliebtheit von Lucia di Lammermoor hat mit Sicherheit die ausgedehnte Wahnsinnsszene im 3. Akt („Il dolce suono“). Nicht zuletzt stellt diese Szene eine immense Herausforderung musikalisch wie darstellerisch an die Titelpartie und macht diese zur Paraderolle großer Sopranistinnen. Vom Wahn- sinn umnachtet ermordet Lucia in der Hochzeitsnacht ihren Ehemann Arturo – im Hinblick auf die erzwungene Heirat ein Akt der Notwehr, des Wiederstandes und der Befreiung von sozialer Unterdrückung und Diskriminierung. Vor der versammelten Festgemeinde halluziniert sich Lucia in eine neue Realität, in der sie sich mit Edgardo vereint sieht, wobei diese zwischen kurzen Momenten der Klarheit unterbrochen werden. Findet dieses psychische Abtauchen Lucias in Walter Scotts Roman nahezu keine Beachtung, so wird es bei Donizetti zum dramatischen Höhe- punkt der Oper herausgestellt. Die ekstatischen Koloraturen ihres überwältigenden Liebesgesangs aus dem ersten Akt werden hier zum Zeichen geistiger Verwirrung und damit zum Beweis, dass die Liebe zu Edgardo gleichzeitig ihren Untergang bedeutet.

Akiho Tsujii (Lucia) inmitten des Ensembles | Foto: Nik Schölzel
TEAM UND ENSEMBLE

Als Regisseur ist Matthew Ferraro bereits zum dritten Mal am Mainfranken Theater zu Gast. In New York City geboren, feierte er 2014 sein europäisches Debüt als Regisseur und Bühnenbildner am Theater Erfurt mit der Inszenierung
von Puccinis Madame Butterfly unter der musikalischen Leitung von Joana Mallwitz und mit Ilia Papandreou in der Hauptrolle. Darüber hinaus war er als Teaching Artist an der Hartford University (Connecticut) tätig, wo er unter anderem als Regisseur und Bühnenbildner für Street Scene, Das schlaue Füchslein, Orpheus in der Unterwelt, und L’enfant et les sortilèges verant- wortlich zeichnete. In Würzburg war er erstmals in der Spielzeit 2016/17 zu Gast, wo er Verdis Grand Opéra Les Vêpres siciliennes opulent in Szene setzte. Zu einem wahren Publikumsmagneten geriet 2019/20 seine Inszenierung von Andrew Lloyd Webbers Rockoper Evita. Mit Lucia di Lammermoor stellt er sich nun dem Würzburger Publikum erstmals mit einem Klassiker des Belcanto-Repertoires vor.

An seiner Seite konnte erneut Bühnen- und Kostümbildner Pascal Seibicke gewonnen werden. Der gebürtige Oberpfälzer ist seit der Spielzeit 2016/17 regelmäßig am Mainfranken Theater zu Gast, unter anderem als Kostümbildner der Produktionen Die Hugenotten (2016), Nixon in China (2018) und Hänsel und Gretel (2019) sowie als Bühnen- und Kostümbildner des Schönberg-Puccini-Doppelabends Die glückliche Hand – Gianni Schicchi (2021). Seine Tätigkeit führt ihn regelmäßig an die Theater und
Opernhäuser in Gelsenkirchen, Heidelberg, Kiel und Münster, an die Staatstheater in Braun- schweig, Darmstadt, Hamburg, Mainz und Wiesbaden, zum Festspielhaus Baden-Baden sowie an das Theater Basel und das MusikTheater an der Wien, um nur einige zu nennen.

Alle Partien sind aus den Reihen des Würzburger Opernensembles besetzt. In der herausfordernden Titelpartie gibt die japanische Sopranistin Akiho Tsujii ihr Debüt. Akiho Tsujii – im vergangenen Dezember mit dem Würzburger Theaterpreis 2022 ausgezeichnet – war am Mainfranken Theater bereits in zahlreichen eindrucksvollen Rollenporträts zu erleben, unter anderem als Madame Mao (Nixon in China), Zerbinetta (Ariadne auf Naxos), Gilda (Rigoletto) sowie zuletzt als Olympia (Hoffmanns Erzählungen).

In den weiteren Hauptrollen sind Roberto Ortiz (Edgardo), Hinrich Horn (Enrico) und Ihor Tsarkov (Raimondo) zu erleben, sowie Barbara Schöller (Alisa) und Mathew Habib (Arturo).

Ferner wirken der Opernchor und der Extrachor des Mainfranken Theaters in der Einstudierung von Chordirektor Sören Eckhoff sowie das Philharmonische Orchester Würzburg mit. Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Generalmusikdirektor Enrico Calesso.
Weitere (bisher feststehende) Vorstellungen
Freitag, 31. April | 19:30 Uhr
Donnerstag, 6. April | 19:30 Uhr
Mittwoch, 12. April | 19:30 Uhr
Sonntag, 30. April | 18:00 Uhr

Einführung jeweils 35 Minuten vor der Vorstellung.