Im Rausch der Emotionen

August Strindbergs „Fräulein Julie"
Mit seinem Einakter „Fräulein Julie“ wollte Strindberg seinerzeit das Theater revolutionieren. So entstand ein Prototyp des intimen und naturalistischen Theaters, in dem das Innere offen und mit wenigen Mitteln zwischen den Figuren verhandelt wird. Verdichtet zu einem komplexen Drama über Begehren und Macht, bringt uns das Stück von 1888 das Schicksal einer Frau näher, das über sich und die Intention des Autors weit hinausweist.
 
Das junge Fräulein Julie lebt auf einem abgeschiedenen Gutshof. In der Mitsommernacht ist ihr Vater bei Verwandten und Julie alleine mit der Belegschaft. Auf dem Hof wird ausgelassen gefeiert und getanzt. Auch Julie tanzt und vergnügt sich mit der Dienerschaft. Besonders auf Jean, den Kammerdiener ihres Vaters, hat sie ein Auge geworfen. Innerhalb weniger Stunden entwickelt sich der verbotene Flirt zu einer leidenschaftlichen Beziehung, bei der die beiden Protagonisten für kurze Zeit alles um sich herum, auch die Küchenhilfe Kristin, Jeans Verlobte, ausblenden. Julie und Jean offenbaren sich gegenseitig ihre Ängste und Träume: Julie ihre familiäre Vergangenheit, der sie zu entfliehen sucht, und Jean seine Ambitionen, mehr als nur ein Kammerdiener zu sein. Gefangen vom Ständesystem, von traditionellen Geschlechterrollen und den eigenen Ängsten, verfallen sie im Rausch der Emotionen der Illusion, der andere könne sie hieraus befreien.

Zur Zeit Strindbergs steckt das Emanzipationsbestreben der Frau zwar noch in den Kinderschuhen, im Kern werden aber bereits jene Fragen gestellt, die uns auch heute noch beschäftigen. Von einer Gleichstellung der Geschlechter ist man damals zwar noch weit entfernt, dennoch werden die Stimmen einzelner Emanzipationsvertreterinnen immer lauter und bedrohen somit erstmals öffentlich auch das Selbstbild des Mannes.

Strindberg selbst ist sehr verunsichert von der starken, selbstbestimmten Frau. In diversen fiktiven, aber auch essayistischen Texten verarbeitet er zum Beispiel ausführlich die Ehe mit seiner ersten Frau Siri von Essen. Die Frau, die er zunächst bewundert und idealisiert, wird für ihn bald zur existentiellen Bedrohung. Auch Fräulein Julie soll unter anderem deutlich machen, dass die Frau „Opfer des Irrglaubens [ist], daß [sie], diese verkümmerte Form des Menschen, die (entwicklungsgeschichtlich) zwischen (dem Jüngling und) dem Mann steht, dem Mann, dem Herrn der Schöpfung und Kulturschöpfer, ebenbürtig sei oder werden könne, wodurch sie sich in ein unsinniges Streben verwickelt, an dem sie scheitert.“ So Strindberg in seinem Vorwort zum Stück. Durch intensive Studien und das Schreiben versucht August Strindberg sich der für ihn unergründlichen und bedrohlichen weiblichen Gedanken- und Gefühlswelt anzunehmen. Mit Fräulein Julie will er eine Protagonistin schaffen, die aufgrund der Erziehung ihrer emanzipierten und männerhassenden Mutter selbst nicht glücklich werden kann und deshalbschlussendlich, wie bereits ihre Mutter, scheitern muss. Mit psychologischer Genauigkeit und emotionaler Sensibilität verleiht der Autor seinen Figuren jedoch eine Autonomie, die im Spiel eine Kraft und Tiefe entfaltet, die weit über die Persona Strindberg und seine gesellschaftspolitische Einstellung hinausweist.
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