250 Tage Marathon

300 Jahre Musikgeschichte im Blick
Seit der Spielzeit 2011 ist Enrico Calesso Generalmusikdirektor am Mainfranken Theater und damit nicht nur Chefdirigent am Pult des Philharmonischen Orchesters, sondern gleichzeitig auch Botschafter des Mainfranken Theaters bei seinen zahlreichen Gastierungen. Mit dem Maestro sprach Konzertdramaturgin Beate Kröhnert.

BEATE KRÖHNERT: Vor wenigen Wochen hat die neue Spielzeit begonnen und wir sind alle erholt aus der Sommerpause zurückgekehrt. Wie war dein Sommer?

ENRICO CALESSO: Sehr schön und erfrischend, da ich die Gelegenheit hatte, Musiktheater mit Chor, großem Orchester und vor immerhin 1.000 Zuschauern zu gestalten. Ich habe mich sehr über mein Debüt beim Puccini Festival in Torre de Lago gefreut und auch über die Möglichkeit, „Madama Butterfly" wieder zu dirigieren.

BEATE KRÖHNERT: Nach der großen italienischen Oper in der Sommerpause standen am Beginn der Spielzeit gleich die finale Probenphase sowie Premiere zum „Garten der Lüste" ins Haus. Wie sah deine Vorbereitung aus?

ENRICO CALESSO: Natürlich muss man sich darauf einstellen und es fordert große Kraft, stilistisches Bewusstsein und Disziplin. „Garten der Lüste" bezieht sich überwiegend auf die Fassung aus dem Jahr 1711 von Händels „Rinaldo", was sehr präzise aufführungspraktische Vorgaben mit sich bringt. Seitdem wir das Stück in den Spielplan aufgenommen haben, habe ich mich täglich dem Studium der Partitur und der Forschung der Quellen zur Aufführungspraxis gewidmet. Was war in diesen ersten Jahren das Alleinstellungsmerkmal der musikalischen Sprache Händels? Wie hat er für sich in Hamburg und in Italien die musikalische Form und Ausdruckspalette der Zeit aufgenommen? Welche konkrete Farbe hatte seine Synthese? Welche neuen Elemente hat er eingeführt? Es sind sehr schwierige Fragen, die ich so tief wie möglich ergründen wollte. Schnell führte mich meine Recherche zu den großen Komponisten vor ihm. Hier sind vor allem Muffat und Corelli sowie später Geminiani wesentlich. Letzterer war für mich relevant, um eine gewisse Stilistik der Verzierungen auszuschließen, die eben nach 1711 entstanden war. Und auch sein Verhältnis zu Corelli war hochinteressant: Es gab durchaus sehr große Meinungsdivergenzen in Rom zwischen den beiden. Diese ganzen Nachforschungen hatten natürlich immer ein konkretes Ziel: mit unserem Sängerensemble und unseren Musikern, mit modernen Instrumenten und Stimmen die musikalische Rede und Affektkonstruktion jener Zeit bewusst wiederzugeben. Also historisch informiert, so weit wie nur möglich.

BEATE KRÖHNERT: Eine weitere stilistische Opernfacette führt dich im Oktober nach Linz. Was steht auf dem Programm?

ENRICO CALESSO: Es hätte ursprünglich „Aida" von Verdi sein sollen. Aber die Corona-Situation hat das Haus zu einem Austausch des Titels gezwungen: Ich war sehr froh, als ich hörte, dass die Überlegungen zu Vincenzo Bellinis „I Capuleti e i Montecchi" geführt hatten, weil wir auch hier in Würzburg diesen Titel bereits auf den Spielplan setzen wollten, bevor Corona diese Pläne durchkreuzte.

BEATE KRÖHNERT: Ebenso vielfältig geht dann auch das Jahr 2020 zu Ende. Was hält dein Terminkalender im Dezember bereit?

ENRICO CALESSO: Es wird für mich eher ein Konzertmonat. Mit dem Philharmonischen Orchester gestalte ich das Jubiläumskonzert des DEBUT Wettbewerbs, wo wir Orchestra in residence sind. Im Anschluss daran freue ich mich sehr auf Händels „Messias" mit unserem Chor und auf mein Debüt im Gasteig mit den Münchner Symphonikern. Zum Jahreswechsel gibt es ein Wiedersehen in der Blauen Halle mit dem Philharmonischen Orchester und Bernd Glemser für unser traditionelles Konzert.

BEATE KRÖHNERT: Auch im neuen Jahr wird es keine Zeit zum Ausruhen geben. Nach den Konzerten wirst du für eine weitere Opernproduktion ans Pult zurückkehren.

ENRICO CALESSO: Wir rechnen für Januar damit, dass noch coronabedingte Aufführungsregeln gelten werden. So haben wir eine Geschichte gewählt, die Darius Milhaud vertont hat: „Der arme Matrose". Wir erzählen sie mit Querverbindungen zu Beethovens „Fidelio", ausgewählten Liedern von Schubert und Schostakowitschs 14. Sinfonie. Unser „Matrose" verspricht einen dramaturgisch wie musikalisch sehr spannenden Abend, auf den unser Publikum sich schon jetzt sehr freuen darf.

BEATE KRÖHNERT: Auf der Zielgeraden deines bevorstehenden Musikmarathons bis März hast du dir noch drei weitere Herausforderungen vorgenommen: Welche sind das?

ENRICO CALESSO: Ich kann noch nicht unser Konzertprogramm ab Februar verraten, aber ich werde das Sinfoniekonzert im Februar leiten. Danach werde ich wieder zwei Opernpremieren einstudieren und dirigieren: „Norma" am Konzert Theater Bern und eine sehr wichtige Uraufführung in La Fenice in Venedig. Auf diese beiden Gastierungen freue ich mich sehr; zum einen darf ich zurück nach Bern, wo ich 2013 „Macbeth" dirigieren durfte. Zum anderen kann ich dort meine Auseinandersetzung mit Bellini fortsetzen. Nach Venedig zurückzukehren bedeutet mir sehr viel, denn das Haus ist für mich wie eine Familie.

BEATE KRÖHNERT: Es bieten sich in den nächsten Wochen und Monaten also sehr viele Gelegenheiten, dich bei Gastierungen, aber vor allem hier in Würzburg am Pult deines Orchesters zu erleben.
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