Premiere Schauspiel

Kleist ist ein Flirt mit der Hölle

Das Schauspiel zeigt Die Marquise von O.... im Keller Z87
Heinrich von Kleist verarbeitete in der 1808 erschienenen Novelle Die Marquise von O.... seine eigenen traumatischen Kriegserfahrungen. Inmitten eines Angriffs auf die Zitadelle, in der die Marquise mit ihrer Familie wohnt, beginnt die Handlung des Textes.
Während die Niederlage immer deutlicher wird, gerät die Mutter zweier Kinder in die Fänge von feindlichen Soldaten, die sich an ihr vergehen wollen. Gerettet wird sie von einem Offzier der gegnerischen Armee, der sie zurück ins Haus bringt. An dieser Stelle in der Erzählung setzt Kleist einen Gedankenstrich.

In der Folge ereignen sich für die Marquise und ihre Familie turbulente Szenen. Zuerst heißt es, ihr Retter sei im Kampf gefallen, kurze Zeit später steht er lebendig im Wohnzimmer und macht ihr einen Heiratsantrag. Währenddessen verändert sich der körperliche Zustand der Marquise, und Arzt und Hebamme bestätigen das Unmögliche: Sie erwartet ihr drittes Kind. Vom unehrenhaften Verhalten der eigenen Tochter erbost, verbannen die Eltern die Schwangere mit ihren beiden Kindern. Auf sich allein gestellt, entscheidet sie sich, mit Hilfe einer Zeitungsannonce nach dem unbekannten Vater zu suchen. Erst spät kommt es zur Versöhnung zwischen den Eltern und der Tochter. Am Ende betritt genau der Mann den Raum und gibt sich als Erzeuger zu erkennen, von dem die Marquise es am wenigsten erwartet hat. Es ist der Graf, der sie einst vor den lüsternen Soldaten und der eigentlichen Schandtat gerettet hatte.
Der gewaltigste Gedankenstrich
Die Auslassung der Schilderung von sexualisierter Gewalt an der wehrlosen Frau ist für damalige Verhältnisse beinahe ein Skandal, weil die Tat umso deutlicher benannt und nicht verklärt wird. Daher bezeichnete der Schriftsteller Gottfried Benn jenen Strich als „den gewaltigsten Gedankenstrich“ der deutschen Literaturgeschichte. Zeit seines Lebens hat sich Kleist, der aus Frankfurt/ Oder stammende preußische Adlige, am Militarismus, seiner eigenen Herkunft und dem Ringen nach Selbstverwirklichung abgearbeitet. All diese Themen finden sich beispielhaft in der Marquise wieder und machen diesen Text zu einem zeitlosen, kritischen Werk über Standesdünkel und kriegerische Verbrechen.

Die in der jüngsten Vergangenheit geführten weitreichenden gesellschaftlichen Debatten über eine neue Sensibilität bei der Erzählung sexueller Übergriffe unterstreicht die Relevanz dieser Erzählung für ein heutiges Publikum. In Kleists Dramenliteratur sind entsprechende Frauen keine Seltenheit: In Der Zerbrochne Krug, zum Beispiel, entwirft Kleist mit Eve eine Figur, die einen sexuellen Übergriff durch einen Mann erlebt und sich vor Gericht dazu verhalten muss — mutig ist ihre Aussage, denn der Täter ist der Richter selbst. Allen Figuren lässt Kleist nur die Möglichkeit, ihre Glaubwürdigkeit mit Worten zu verteidigen.
Entwurfsskizze des Bühnenbilds von Marcel Keller für Die Marquise von O....
Er schrieb in einem Brief an seine Schwester, Sprache tauge nicht als Kommunikationsmittel, sie liefere nur zerrissene Bruchstücke. Und so zeichnet Kleist in der Marquise von O…. präzise eine Familie, die sich mit vielen Worten nicht sagen kann, was eigentlich, abseits ständischer Etikette, gesagt werden möchte oder muss.

Für das Mainfranken Theater inszeniert Regisseurin Solvejg Bauer, mit einem Bühnen- und Kostümbild von Marcel Keller, die aufwühlende, temporeiche und sprachlich herausfordernde Geschichte, mit der Kleist die Emanzipation einer Frau erzählt, im Keller Z87 in der Zellerau.
PREMIERE

Samstag, 12.3. | 20:00 Uhr

Keller Z87
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