Oper süss-sauer

Peter Eötvös’ Musiktheater „Der goldene Drache" feiert Premiere
Mit dem „Goldenen Drachen" steht erstmals ein Werk des bedeutenden ungarischen Musikdramatikers Peter Eötvös auf dem Spielplan des Mainfranken Theaters. Vom Komponisten schlicht „Musiktheater“ überschrieben, erzählt die Geschichte in einer rasanten Abfolge bewegender Miniaturszenen von unserem Umgang mit dem Fremden.

„Es wird eine komisch-dramatische Oper sein, da die Geschichte einerseits leicht zu sein scheint, andererseits aber auch sehr tief geht.“ (Peter Eötvös)

DER PLOT
Der rote Faden ist rasch erzählt: Ein junger Chinese – genannt „Der Kleine“ und „panisch vor Zahnschmerzen“ – arbeitet im Thai-China-Vietnam- Schnellrestaurant „Der goldene Drache“. Da er keine Papiere hat, kann er keinen Arzt aufsuchen. Kurzerhand reißen die Kollegen den schmerzenden Zahn mit einer Rohrzange heraus; er landet in Ingas Thai-Suppe. Der Chinese – eigentlich auf der Suche nach seiner verschollenen Schwester – verblutet in der Küche des „Goldenen Drachen“. Sein Leichnam wird in den Fluss geworfen und macht eine lange Reise zurück in die Heimat.
DAS WERK
Peter Eötvös’ „Goldener Drache“ entstand als Auftragswerk für das renommierte Ensemble Modern und etablierte sich sogleich mit der Uraufführung im Jahr 2014 als eine der erfolgreichsten Kammeropern des zeitgenössischen Repertoires. Das Libretto basiert auf dem gleichnamigen Schauspiel Roland Schimmelpfennigs, das 2009 nach der Uraufführung bei der Kritikerumfrage von „Theater Heute“ zum „Stück des Jahres“ gewählt wurde. Die rasant geschnittene, dabei thematisch weit ausholende Handlung mit ihren ebenso komischen wie herzzerreißend tragischen Situationen erzählt von unserem Umgang mit dem Fremden, berichtet in der Fabel von Ameise und Grille von Ausbeutung und Unterdrückung, weiß von Einsamkeit und sozialer Not, aber auch vom Glück einer jungen Liebe, kurz: Die ganze schillernde Bandbreite modernen Lebens ist abgebildet im engen Mit- und Nebeneinander rund um das Schnellrestaurant „Der Goldene Drache“.

Fünf Darsteller – zwei Frauen und drei Männer – schlüpfen jeweils in drei, vier unterschiedliche Rollen, wobei die individuellen Charakterprofile extrem weit auseinander liegen und bewusst gegenläufig zum eigentlichen Stimmfach gewählt sind: Die Mezzosopranistin ist als „Frau über sechzig“ auch alte Köchin und Enkeltochter, Ameise, Hans und chinesische Mutter; der Bariton ist als „ein Mann“ auch Asiate, die blonde Stewardess Inga sowie ein chinesischer Onkel. Kaum dass Figur und Interpret zu einer Einheit zu verschmelzen scheinen, tritt der Spieler aus dem einen Charakter heraus, um aus einer anderen Perspektive einen Blick auf eine neue Figur zu werfen. Nicht zuletzt in dieser dramaturgisch ausgeklügelten Personenkonstellation lag für Peter Eötvös der besondere Reiz zur Vertonung: „Ich habe das Libretto durchgearbeitet und nachvollzogen, welche Rolle zu welcher geführt wird, und ich war sicher, dass die Musik helfen kann, einen Charakter wieder zu erkennen.“ Die Grenzen zwischen Illusionstheater und Verfremdungseffekt scheinen fließend: „Jetzt wird es interessant, denkt man, aber schon ist wieder die nächste Szene da. Eine Vorabendserien-Machart: die einzelnen Schicksale werden zweitrangig, dienen einer Zopf-Dramaturgie, der Cliffhanger hält die Zuschauer bei der Stange“, so Stefan Bläske 2009 in seiner Uraufführungskritik zu Schimmelpfennigs Schauspiel. Alltagssorgen und Tagespolitik, Tierfabel und ewige Menschheitsfragen aus zweieinhalbtausend Jahren abendländischer Theatergeschichte gehen im „Goldenen Drachen“ Hand in Hand.

Für die Oper reduzierten Komponist Eötvös und Autor Schimmelpfennig die 48 Szenen der Vorlage auf nunmehr 21 kurze Szenen. Die für 16 Musiker eingerichtete, klanglich präzise ausdifferenzierte Partitur stellt enorm virtuose Ansprüche an die solistisch geführten Blas- und Streichinstrumente, die Schlagwerker bedienen ein riesiges Arsenal an europäischen und asiatischen Schlaginstrumenten: Von Vibraphon, Xylophon, Röhrenglocken und Tamtam über Nietenbecken, Holzbrett, Plastikkamm, Flaschen, Schnapsgläser und Glöckchen-Kette bis hin zu Crotales, chinesischen Bongos, Becken und Trommeln ist so ziemlich alles dabei, was den Puls des Lebens in seiner unendlichen Vielfalt zum Klingen bringt.
DIE INSZENIERUNG
Mit dem „Goldenen Drachen“ steht zum ersten Mal überhaupt ein Werk von Peter Eötvös auf dem Musiktheater-Spielplan des Mainfranken Theaters. Die Inszenierung liegt in den Händen von Regisseurin Aldona Farrugia. Nach Engagements als Spielleiterin an der Hamburgischen Staatsoper, an der Oper Danzig sowie wiederholt an der Oper Köln zeichnet sie seit 2001 für zahlreiche eigene Regiearbeiten verantwortlich. Von 2016 bis 2018 wirkte sie als Operndirektorin am Meininger Staatstheater, wo sie zuletzt eine Inszenierung von Strauss’ „Ariadne auf Naxos“ vorgelegt hat. Im „Goldenen Drachen“ zeichnen an ihrer Seite Dorota Karolczak und Gisa Kuhn für Bühnen- und Kostümbild verantwortlich. Die musikalische Leitung liegt in den Händen unseres Ersten Kapellmeisters Gábor Hontvári. Als Gesangssolisten sind Silke Evers, Barbara Schöller, Roberto Ortiz, Mathew Habib sowie der Bariton Neuzugang Hinrich Horn aus dem Würzburger Opernensemble zu erleben. Am Premierenabend werden auch Komponist Peter Eötvös und Autor Roland Schimmelpfennig als Ehrengäste im Mainfranken Theater erwartet.
DER KOMPONIST PETER EÖTVÖS
Der ungarische Komponist und Dirigent Peter Eötvös, der im Januar 2019 seinen 75. Geburtstag feierte, zählt zu den meistgespielten Musikdramatikern unserer Zeit. Seine Tschechow-Oper „Die drei Schwestern“ (1998) oder „Angels in America“ (2004) nach Tony Kushners gleichnamigem Schauspiel sind längst Klassiker des zeitgenössischen Musiktheaters. Bereits mit 14 Jahren wurde Eötvös Jungstudent an der Budapester Musikakademie. Mitte der 1960er Jahre ermöglichte ihm ein Auslandsstipendium ein Studium an der Musikhochschule Köln, wo er mit den führenden Köpfen der Nachkriegsavantgarde zusammentraf und unter anderem als Pianist und Schlagzeuger im Stockhausen-Ensemble wirkte. Von 1979 bis 1991 war er musikalischer Leiter des von Pierre Boulez gegründeten Ensemble InterContemporain, mit dem er über 200 Uraufführungen realisierte. Parallel zu seinem umfangreichen kompositorischen Wirken und seiner pädagogischen Tätigkeit übernahm er seit den 1980er Jahren wiederholt Leitungspositionen bei renommierten Klangkörpern, darunter das BBC Symphony Orchestra, und ist seither weltweit als Dirigent bei den bedeutendsten Orchestern, Opernhäusern und Musikfestivals zu Gast. (bwa)
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