Neue Orte - neue Stücke

Die designierte Schauspieldirektorin über die Spielzeit 21/22
„Ein allgemeiner, unwiderstehlicher Hang nach dem Neuen und Außerordentlichen, ein Verlangen, sich in einem leidenschaftlichen Zustande zu fühlen, hat der Schaubühne die Entstehung gegeben.“ So begann Friedrich Schiller 1784 seine Rede bei einer öffentlichen Sitzung der kurfürstlichen deutschen Gesellschaft zu Mannheim. Bemerkenswert dabei ist, dass Schiller zuerst die Leidenschaft und das „Beeindruckt sein“ als Grundlage für ein Theater erwähnt. Später führt er auch die Institution als moralische Anstalt – so auch der Titel der Rede – und ihren gesellschaftspolitischen Wert an. Es sind also gewichtige Aufgaben, die dem Theater zukommen.

Eine neue Spielstätte 

Umso schöner, dass nun ein für Würzburg und die Theaterlandschaft großes Ereignis kurz bevorsteht: Das Mainfranken Theater darf noch 2021 eine neue Spielstätte eröffnen! Das Schauspiel wird damit seine neue Hauptspielstätte erhalten, die vielfältige Möglichkeiten bietet. Auch am kommenden Spielplan wird das sichtbar werden: Wir starten in die Theatersaison mit einem der bekanntesten, meistgespielten, aber in Würzburg bis jetzt noch nicht im Schauspiel aufgeführten Gegenwartsautoren: Roland Schimmelpfennig. Sein Stück "Der Riss durch die Welt" spielt in einer Luxusvilla im Hochgebirge. Um idyllisch zu sein, ist der Ort etwas zu unwirtlich. Das Gastgeber-Paar, ein reicher Unternehmer im Satellitengeschäft und seine Frau Sue, empfängt eine junge Künstlerin und ihren Bekannten. Eigentlich soll Geld für ein Kunstprojekt, das sich mit apokalyptischen Szenarien beschäftigt, eingeworben werden. Doch die Gespräche kreisen bald um die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten der Gesellschaften in der Welt. Wir leben offenbar in einer Zeit mit immer neuen gesellschaftlichen Spaltungen, Spannungen und politischen Konflikten. Im schillerschen Sinne gehören diese Themen auf die Bühne, um das Publikum zu „incommodieren“, um mit Schiller zu sprechen – nicht mit dem, was wir schon wissen, sondern um uns im positiven Sinne zu verunsichern und uns nachdenklich zurückzulassen.

Sehnsucht, Mut, Hoffnung 

Zum Saisonauftakt gehört auch ein Liederabend des Schauspiels. Sehnsuchtswild, so der Titel des Abends, ist im Frühjahr dieses Jahres entstanden. Noch von den Eindrücken der Pandemie geprägt, manifestierte sich der Begriff der Sehnsucht in den Proben, in all seinen Facetten. Auch wir hatten Sehnsucht nach dem Spielen, nach der Bühne, nach dem Publikum, nach unserem gemeinsamen „Alltag“. Im Austausch mit neun Schauspielerinnen und Schauspielern des Ensembles entstand ein Abend, der von ganz persönlichen Sehnsüchten und Geschichten erzählt, vom Scheitern, vom Hoffen und vom Mut, einen Neubeginn zu wagen – ob auf dem Rücken eines Orcas, bei einem Flug über den Mars, auf dem Weg zur Bundeskanzlerin oder durch das Stillen des Verlangens, andere Menschen mitfühlender zu machen. Musikalisch bewegt sich der Abend zwischen deutschen Schlagern, Chansons sowie Rock- und Popmusik, aber auch klassische Einflüsse sind zu finden. Begleitet wird das Ensemble von einer Live- Band. Ein Liederabend, der unterhalten und das „neue alte“ Gefühl des gemeinsamen Erlebens von Musik und Kultur feiern soll – sozusagen ein Theaterabend als pures Genussmittel.

Gegenwartsdramatik in der Probebühne

Doch wir werden nicht nur das Kleine Haus bespielen, sondern auch eine neu dazu gewonnene Interims-Spielstätte: die Probebühne. Dort wird vor allem Gegenwartsdramatik inszeniert werden: Und jetzt: Die Welt! von Sibylle Berg und Elfriede Jelineks In den Alpen, sowie ein wichtiges Recherche-Projekt: Saal 600 von Kevin Barz. Das Dokumentarische ist ein bedeutender Bestandteil des Theaters, es ist die für unsere Gegenwart elementar wichtige Auseinandersetzung mit der jüngeren und älteren Geschichte. Dieses Projekt beschäftigt sich mit der Situation der Dolmetscherinnen und der Dolmetscher der Nürnberger Prozesse, die im Saal 600 in Nürnberg stattgefunden haben. Die Gräueltaten der angeklagten Hauptkriegsverbrecherinnen und -verbrecher des Nationalsozialismus wurden im Gerichtsverfahren von Menschen, teils jüdischer Abstammung, simultan übersetzt. Sie waren die einzigen, die über die nötigen sprachlichen Fähigkeiten verfügten. Die Opfer liehen damit den Täterinnen und Tätern ihre Stimmen und ermöglichten so einen gerechteren Prozess.
Familien- und Kinderstücke - musikalisch, nachdenklich, fantastisch

Ein weiterer Schwerpunkt unseres Schauspiel- Programms sind Produktionen für junges Publikum. Das Familienstück zur Weihnachtszeit, der bekannte Kinderbuch- und Filmklassiker "Der Zauberer von Oz", wird zur Premiere kommen, sodass auch die jüngeren Besucherinnen und Besucher den Theaterneubau kennenlernen können. Es ist ein Roadmovie-Märchen über Dorothy und ihre drei Gefährten, die sprechende Vogelscheuche ohne Verstand, den rostigen Blechmann ohne Herz und den scheuen Löwen ohne Mut. Gemeinsam nehmen sie jedoch all ihren Verstand und ihren Mut zusammen, fassen sich ein Herz und begeben sich wieder auf die Reise - denn nur zusammen können sie ein Ziel erreichen. Auch bei diesem Kinder- und Familienstück lässt sich die Frage nach Rissen und Gemeinsamkeiten wiederfinden.

Außerdem widmen wir uns einem Bilderbuchstoff: Der Illustrator und Autor Wolf Erlbruch veröffentlichte 2007 "Ente, Tod und Tulpe", in dem universelle Fragen über Vergänglichkeit für Klein und Groß gestellt werden. Was macht das Leben schön? Warum ist es irgendwann zu Ende? Und was bedeutet Sterben? Musikalisch, zumindest thematisch, wird es bei der Produktion Mozarts Schwester, in der Maria Anna Walburga Ignatia Mozart, genannt Nannerl, die ältere Schwester des berühmten Wolfgang Amadeus, im Mittelpunkt steht. Das Stück zeigt das Leben der Mozarts aus einer selten beachteten Perspektive, die den Erfolg des Geschwisterpaars auf neue, spannende Art beleuchtet.

Wiederaufnahmen

Bevor jedoch die neue Spielstätte eröffnet wird, werden Sie das Schauspiel im Würzburger Rathaussaal finden. Wir werden Theresia Walsers Komödie "Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel" nochmals dort aufführen. Und auch die Erfolgsproduktion "Die Comedian Harmonists" von Gottfried von Greiffenhagen und Franz Wittenbrink werden Sie im Verlauf der Spielzeit 21/22 im Abonnement erleben können.
Neue Ensemblemitglieder 

Besonders freuen wir uns auf zwei neue Ensemblemitglieder: Isabella Szendzielorz kommt, unter anderem nach Stationen am Volkstheater Wien, dem Staatstheater Nürnberg, dem Stadttheater Klagenfurt und dem Landestheater Linz, zu uns nach Würzburg. Außerdem wird Anselm Müllerschön das Ensemble verstärken. Er hat gerade sein Schauspielstudium an der Otto Falckenberg Schule in München abgeschlossen. Doch damit nicht genug: Auch die Schauspieldramaturgie stellt sich neu auf. Oliver Meyer, der zuvor am Schauspiel Hannover tätig war, wird neuer Schauspieldramaturg bei uns am Haus, und wir bekommen Verstärkung durch Philine Bamberger als neue Dramaturgieassistentin. Sie werden die beiden sicher im Laufe der kommenden Saison in sämtlichen Formaten kennenlernen, worauf beide schon äußerst gespannt sind. Und auch ich freue mich sehr auf Würzburg, auf Sie und das Mainfranken Theater, auf die spannenden Produktionen und Projekte und die vielen tollen Kolleginnen und Kollegen, die schon hier vor Ort sind!

Doch jetzt wünsche ich Ihnen erst einmal einen schönen Sommer! Genießen Sie die Zeit und bleiben Sie leidenschaftlich!
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