Notizen aus der Intendanz

Theater digital oder analog?

Eine Sache des Blickwinkels

Intendant Markus Trabusch über Sehgewohnheiten, unseren Umgang mit den Medien und das Live-Erlebnis Theater

Die Corona-Pandemie hat unsere weltweit einzigartige Theaterlandschaft im deutschsprachigen Raum auf eine  besondere Art und Weise getroffen. Zwar wurden fast alle bestehenden Strukturen der festen Häuser erhalten, die  Existenznöte der Solo-Selbstständigen in der Darstellenden Kunst und der Musik blieben den meisten festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der stehenden Theater weitestgehend erspart.
Dennoch wurden auch wir Theaterschaffende in der Sicherheit des Festengagements in der Zeit ohne Publikum und somit ohne den eigentlichen Sinn unserer Tätigkeit – nämlich Spielen für ein Publikum – gezwungen, nochmals grundsätzlich über unser Arbeiten nachzudenken. Nicht nur die Fragen, wie wir arbeiten wollen oder was wir spielen wollen, sind in den vergangenen 15 Monaten an vielen Häusern – und auch bei uns – intern nochmals ausführlicher diskutiert worden als zuvor. Auch die Vor- und Nachteile der Digitalisierung unserer Angebote bestimmten die Diskussionen der letzten Monate, vom Verteilen von Virtual-Reality-Brillen bis hin zum einfachen Streamen unserer Angebote als Film.
Welche Bildauswahl will ich treffen, wenn ich Opernsängerinnen und -sänger im Close-Up zeige?
Markus Trabusch
Anfänglich ging es zunächst dominant um Fragen der technischen Realisierbarkeit und der Urheberrechte, die gerade die mittelgroßen Häuser oftmals unvorbereitet trafen. In den letzten Monaten dominierten dann die den unterschiedlichen Medien innewohnenden Unterschiede die Debatte. Vor der Pandemie wurde diese Diskussion hauptsächlich geführt, um die Differenz der Medien Film und Theater zu beschreiben. In der jetzigen Situation tauchten zwar einige dieser Begriffe in der Diskussion wieder auf, so wie beispielsweise die „Cadrage“, also die Auswahl des Bildausschnitts, die im Theater in das Belieben der einzelnen Zuschauerinnen und Zuschauer gestellt ist und dem Publikum dabei erstaunliche Freiheitsgrade zubilligt. Aber jetzt zeigte sich deutlich, dass wir in einigen Bereichen ästhetisch schlichtweg unvorbereitet waren. Welche Bildauswahl will ich – im Gegensatz zum Medium Film – treffen, wenn ich Opernsängerinnen und -sänger im Close-Up zeige, diese dabei aber eine im filmischen Realismus ungewohnte Mimik haben, die der besonderen Gesangstechnik geschuldet ist? Unser Opern-Film-Projekt hat sich damit ausführlich beschäftigt.
Auch im Bereich des Schauspiels wurde deutlich: Einfach „abgefilmte“ Theateraufführungen sind oftmals den jeweils für die eigenen Medien Film und Fernsehen produzierten Formaten unterlegen. Denn der gesamte und spezifische Aufwand, der dort betrieben wird, erfolgt ja nicht umsonst. Das Theater arbeitet offensichtlich mit anderen Mitteln. Zumindest die Klickzahlen der unzähligen Streaming-Angebote der Theaterwelt waren nicht wirklich vielversprechend und stellten unvermittelt die Frage, wozu es so viele Theater mit so vielen überall verfügbaren Streaming-Angeboten überhaupt braucht. Auch die Klickzahlen bei unseren eigenen Angeboten zeigen, dass der Großteil des Publikums das „Live-Erlebnis“ den digitalen Angeboten deutlich vorzieht.
Der Umgang mit der Digitalisierung im Theater und dem Nutzen anderer, neuer Technologien steckt noch in seinen Anfängen.
Markus Trabusch
Eines haben uns die letzten Monate auf jeden Fall gezeigt: Der Umgang mit der Digitalisierung im Theater und dem Nutzen anderer, neuer Technologien steckt noch in seinen Anfängen. In Dortmund wurde dazu im letzten Jahr eigens eine „Akademie für Theater und Digitalität“ gegründet, die sich all diesen Fragen ausführlich widmet, am Staatstheater Augsburg wurden eigene Digitalisierungsbeauftragte eingestellt. Auch wir werden sicherlich diese Fragen in Zukunft weiterverfolgen, aber im Augenblick konzentrieren wir uns wieder darauf, zu den grundlegenden Aspekten unseres Mediums zurückzufinden.
Der große Theaterregisseur Peter Brook hat das berühmte Bonmot geprägt: „Ein leerer Raum, den wir nackte Bühne nennen. Eine Person geht über die Bühne, eine andere schaut ihr dabei zu. Das ist alles, was das Theater ausmacht.“ Er beschreibt weiter, dass wir manchmal denken, es wären für das Theater noch weitere Dinge notwendig, wie rote Vorhänge, Scheinwerfer, Dunkelheit usw. Genau daran arbeiten wir im Augenblick mit all unseren Kräften: Eine neue Bühne zu erstellen, mit rotem Vorhang, und sie mit Leben zu erfüllen. Analog und live für alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt und der Region.

Ein leerer Raum, den wir nackte Bühne nennen. Eine Person geht über die Bühne, eine andere schaut ihr dabei zu. Das ist alles, was das Theater ausmacht.
Peter Brook

Das Opern-Film-Projekt kommt auf die große Leinwand!

Open-Air Kino am 5. Juli 2021 beim Festungsflimmern
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