Bösartige Gespinste - Überall

Verdis Falstaff kommt auf die Bühne der Theaterfabrik Blaue Halle
Im Alter von fast 80 Jahren und nach 25 Musikdramen setzte Giuseppe Verdi mit der „Commedia lirica“ Falstaff einen krachenden Schlusspunkt hinter sein gewaltiges OEuvre, um mit dieser seiner dritten Shakespeare-Adaption zugleich das Tor zum Musiktheater des 20. Jahrhunderts weit aufzustoßen. Premiere der Neuinszenierung ist am 8. Juni in der Blauen Halle.

„Wunderbar! Wunderbar! Bevor ich Eure Skizze las, wollte ich die Lustigen Weiber, die beiden Teile Heinrich IV. und Heinrich V. wieder lesen; und ich kann nur widerholen: wunderbar, weil man nichts Besseres machen konnte, als was Ihr gemacht habt.“ Wahrlich nicht häufig sind derartige Freudenausbrüche in den Briefen Giuseppe Verdis zu finden. Doch Arrigo Boitos Skizze zum Librettoentwurf des Falstaff, die er dem Komponisten im Juni 1889 zukommen ließ, scheint die kühnsten Erwartungen des Maestros übertroffen zu haben. Fortan schwirrte in Verdis Kopf nur eine Sorge, über die er seinen genialen Dichterfreund Boito gleich am Tag nach dem ersten Begeisterungssturm unterrichtete: „Habt Ihr beim Entwurf des Falstaff ja an die enorme Zahl meiner Jahre gedacht? [...] Wenn ich mit der Musik nicht zu Ende käme?“
Das schiere Arbeitspensum an einem neuen Musikdrama in fortgeschrittenem Alter mag der eher äußerliche Grund für Verdis Sorge gewesen sein. Weit stärker noch dürfte ihm die neuerliche Auseinandersetzung mit dem Theaterkosmos Shakespeare – nach Macbeth (1847) und zuletzt Otello (1887) – als die eigentliche Herausforderung zugesetzt haben. Denn die Komödienvorlage der Lustigen Weiber von Windsor hatte gerade im 19. Jahrhundert beim Publikum an Gunst verloren und galt gegenüber Shakespeares erstem Falstaff- Drama König Heinrich IV gar als Rückschritt. Es ist daher das große Verdienst Boitos, durch die Verschmelzung beider Texte, der Komödie und des Historiendramas, eine gleichermaßen dramaturgisch überzeugende wie bühnenwirksame Vorlage geschaffen zu haben, aus der Verdi seinerseits einen ganz neuen Typ der komischen Oper schuf: die „lyrische Komödie“. Sein Falstaff ist daher nicht nur der Schlusspunkt hinter das eigene Schaffen und Rückblick auf die Tradition der italienischen Opera buffa, sondern zugleich Ausblick auf das kommende Musiktheater des 20. Jahrhunderts: von Strauss‘ „Komödie für Musik“ Der Rosenkavalier (1911) bis zu Puccinis Gianni Schicchi (1917/18) und darüber hinaus.

KOMÖDIE DER IRRUNGEN UND INTRIGEN

Der alternde Ritter Sir John Falstaff ist beständig auf der Suche nach amourösen Abenteuern. Doch: so umfangreich sein Bauch, so knapp die Finanzen. Daher plant er, gleich zwei wohlhabenden verheirateten Frauen – Alice Ford und Meg Page – nachzustellen und schickt diesen identische Liebesbriefe, nicht ahnend, dass die Damen miteinander befreundet sind. Schnell haben sie einen Plan ausgeheckt, dem Wüstling eine zwar feuchte, dafür wenig fröhliche Lektion zu erteilen. Was als harmloses Spiel inklusive munterer Liebesirrungen und sonstiger Wirrungen beginnt, mündet schließlich in eine Gewaltorgie aller gegen Falstaff. Wirklich alles nur Spaß auf Erden?

DIE NEUINSZENIERUNG

Verdis musiktheatraler Schwanengesang kehrt nach mehr als 25 Jahren zurück auf die Bühne des Mainfranken Theaters, wo der Falstaff zuletzt in der Saison 1998/99 auf dem Spielplan stand. Mit Magdalena Fuchsberger konnte eine der spannendsten Nachwuchsregisseurinnen unserer Tage für die Neuinszenierung gewonnen werden. Regiearbeiten führten sie zuletzt unter anderem an die Oper Graz, an die Theater in Gießen, Münster und Heidelberg, nach Luzern sowie im April 2023 an die Wiener Staatsoper. Mit Verdis Falstaff setzt sie sich in Würzburg erstmals als Regisseurin auseinander. „In dem Bauchmenschen Falstaff “, so Fuchsberger, „passieren ungeheuerliche Dinge: In seinem Magen haben sich bösartige Darmgespinste, in seinem Kopf kleingeistige Hirngespinste festgesetzt. Diese setzen dem humorvollen, vitalen und virtuosen Falstaff zu. Das Meisterwerk Verdis blickt zutiefst pessimistisch auf uns Menschen und scheint trotz allem zu jeder Sekunde ausrufen zu wollen: Aber ich liebe doch die Menschen! La vita è bella!“
Auch bei ihrem Würzburger Regie-Debüt vertraut Magdalena Fuchsberger auf ihr langjähriges Kreativteam: Monika Biegler zeichnet für das Bühnen- und Kostümbild verantwortlich, Aron Kitzig für das Videodesign. Als Interpret der Titelpartie gibt der aus Südafrika stammende Bariton Siyabulela Ntlale sein mit Spannung erwartetes Rollen- und Würzburger Hausdebüt. Ntlale gehörte seit der Spielzeit 2015/16 dem Ensemble des Theaters Erfurt an, wo er in herausragenden Fachpartien zu erleben war, als Don Giovanni und Rigoletto, als Gutenberg in der Uraufführung von Volker David Kirchners gleichnamiger Oper sowie zuletzt als Balstrode in Brittens Peter Grimes. Bereits 2013 ging er als Preisträger aus dem Gobbato- Qavane Operatic Award hervor, 2014 gewann er den zweiten Preis beim renommierten Hans-Gabor-Belvedere-Gesangswettbewerb in Düsseldorf.
In den weiteren Hauptrollen sind zu erleben: Leo Hyunho Kim (Ford), Roberto Oritz (Fenton), Yong Bae Shin (Dr. Cajus), Mathew Habib (Bardolfo) und Gustavo Müller (Pistola) sowie Vera Ivanovic (Mrs. Alice Ford), Milena Arsovska
(Nannetta), Barbara Schöller (Mrs. Quickly) und Vero Miller (Mrs. Meg Page).
Die musikalische Gesamtleitung des Falstaff liegt in den Händen von Generalmusikdirektor Enrico Calesso, der sich in den vergangenen Jahren gleichermaßen national wie international einen hervorragenden Ruf als Verdi-Interpret erworben hat. In Würzburg leitete er zuletzt die Verdi-Neuinszenierungen der Sizilianischen Vesper (2018) und des Rigoletto (2019).

MATINEE ZU FALSTAFF
Sonntag, 26. Mai 2024 | 11:00 Uhr
Oberes Foyer des Theaterneubaus

PREMIERE
Samstag, 8. Juni 2024 | 19:30 Uhr
Theaterfabrik Blaue Halle

WEITERE VORSTELLUNGEN
Donnerstag, 13. Juni 2024 | 19:30 Uhr
Mittwoch, 19. Juni 2024 | 19:30 Uhr
Dienstag, 2. Juli 2024 | 19:30 Uhr

Weitere Termine und Informationen gibt es hier.
Einführung jeweils 35 Minuten vor Beginn.
Beitrag von