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Hintergründe zu Tschaikowskis vierter Sinfonie
Beim sechsten Sinfoniekonzert der Saison interpretiert das Philharmonische Orchester unter der musikalischen Leitung von Enrico Calesso an der Seite von Solist Karl-Heinz Schütz, Soloflötist der Wiener Philharmoniker, den Konzertsatz für Flöte und Orchester von Ludwig van Beethoven und das Flötenkonzert von Ferdinand Langer. Im zweiten Teil des Konzertprogramms erklingt Peter Tschaikowskis vierte Sinfonie.
1877: Ein Mann des Moskauer Kulturlebens heiratet. Die Liaison dieser beiden Menschen kommt unvermittelt. Während die Gemahlin die Hausbediensteten einstellt und ein bürgerliches Familiennest in der Landesmetropole einrichtet, ist der Gatte im Delirium. Zeit mit ihr erträgt er nur im Rausch. „Der Hass gegen meine Frau wächst von Stunde zu Stunde." schreibt er in einem Brief. Was ist geschehen? Hat sie sich mit dem Ring am Finger in eine wütende Xanthippe verwandelt? Hat er sich in ihr getäuscht?
Der Mann hatte es bei einigen seiner Bekannten gesehen. Man vertuschte die eigene Homosexualität mit einer Ehe. Auch Tschaikowski hatte das für sich als Handlungsoption gewählt und war daran gescheitert. Antonina Miljukova, eine junge Frau, die ihm leidenschaftlich Liebesbriefe geschrieben hatte, war für diese Rolle prädestiniert. Aber er konnte für Antonina nicht einmal freundschaftliche Gefühle aufbringen – es kommen nur Ekel und Abscheu auf. Sie bedrängt ihn, streitet, hat eigenwillige Ansichten, sie ist ihm fremd, ist bösartig, grimmig, verlogen ... Die Liste der stillen Vorwürfe wird von Tag zu Tag länger. Die Gewissheit, dass er den Tod diesem Leben vorziehen würde, führt zum Nervenzusammenbruch. Folglich ist klar, dass dieses Eheleben aussichtslos ist, und die beiden trennen sich. Zu einer Scheidung kommt es dennoch nicht. Der Modus Operandi ist gefunden. Sie genießt den Status, er die Freiheit. Mit der Trennung kehren Tschaikowskis Kreativität und Schaffenskraft zurück. Er setzt sich an den Schreibtisch und bringt mit der Sinfonie Nr. 4 in f-Moll ein Werk zu Papier, welches ein gleichermaßen berührendes und fesselndes Bekenntnis seines Schicksals ist.
Zwischen Musik und Traumata
Hörnerklänge: Sofort stellt sich das Bild einer Jagd ein – doch was wird gejagt? Nach zwei Tuttischlägen verblasst das Drohbild, wird vom wiegenden Seitenthema abgelöst und zeichnet die Illusion des erträumten Glücks. Nach dem Drama des Kopfsatzes ist die sanfte Melancholie des zweiten Satzes eine wohltuende Oase. Wiederum einen scharfen Kontrast zeichnet das Scherzo. Pizzicati der Streichergruppen werden von grotesk wirkenden Bläsereinwürfen abgelöst. Das Finale fasst diese Pole erneut in Musik: Euphorie, Melancholie, Leidenschaft und Seelennot. Diese vierte Sinfonie ist ein Bekenntnis – das Bekenntnis einer gequälten Seele, die sich eingestand, nicht Teil der gesellschaftlichen Norm zu sein oder sein zu können.
6. SINFONIEKONZERT

SINN – SEIN – SICHT

Donnerstag, 5.5. | 20:00 Uhr
Freitag, 6.5. | 20:00 Uhr
Einführung jeweils um 19:30 Uhr
Konzertsaal der Hochschule für Musik Würzburg
Solist Karl-Heinz Schütz, Soloflötist der Wiener Philharmoniker, wird im ersten Teil des Sinfoniekonzerts an der Seite des Philharmonischen Orchesters unter der musikalischen Leitung von Enrico Calesso den Konzertsatz für Flöte und Orchester von Ludwig van Beethoven und das Flötenkonzert von Ferdinand Langer interpretieren.
Karl-Heinz Schütz | Foto: Claudia Prieler
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