Komm, tanz mir mir!

Vier Premieren, vier neue Gesichter und ein neuer Probenort für die Spielzeit 21/22
Nach über einem Jahr des Tanzens auf Distanz steht für die Spielzeit 21/22 die Freude am wieder buchstäblich miteinander in Kontakt treten im Vordergrund, dem ‚unmittelbaren’ miteinander tanzen Können.

Walzer und Tangos - Lottes Ballhaus 

Den Auftakt macht Lottes Ballhaus, in dem sich die Choreografen Dominique Dumais und Kevin O’Day zwei großen Formen des Paartanzes widmen: Walzer und Tango. Ballhäuser zeichnen sich als Orte der Gemeinschaft aus, in denen man für einen Abend alle Sorgen vergessen und ausgelassen gemeinsam tanzen und feiern kann. An diesem Ort, der das Zusammenkommen in großer Gesellschaft zelebriert, kann man zugleich für einen Moment in eine eigene Welt der intimen Zweisamkeit eintauchen. Sowohl Walzer als auch Tango zeichnen sich durch den engen Körperkontakt der Tanzpartner aus und wurden daher anfangs von der Oberschicht der Bevölkerung als zu erotisch abgelehnt. Für Dumais kann ein einzelner Walzer vieles zugleich ausdrücken: Liebe, Begierde, Spannung, Verspieltheit, Zögern, Sehnsucht, Verlust oder Trauer.
Im ersten Teil des Abends erforscht sie die verschiedenen Facetten des bekannten Paartanzes und tritt dabei auch eine musikalische Erkundungsreise an: von Johann Strauss (Sohn) und Johannes Brahms, über Jean Sibelius und Dmitri Schostakowitsch bis hin zu Nino Rota. O’Day ließ sich für den zweiten Teil vor allem durch die Musik Astor Piazzollas inspirieren. Der argentinische Komponist gilt als Begründer des Tango Nuevo, da er die traditionelle Form des Tango Argentino um zeitgenössische Elemente etwa aus Jazz oder Populärmusik erweiterte. Das Tanzensemble wird für diesen Abend begleitet vom Philharmonischen Orchester des Mainfranken Theaters unter der Leitung des Ersten Kapellmeisters Gábor Hontvári.
Kostümentwurf für Lottes Ballhaus von Kostüm - und Bühnenbildner Thomas Mika
Ausgelassen und energiegeladen – Tanzen bis in die Puppen

Der Ausdruck „bis in die Puppen“ entstand im 18. Jahrhundert in Berlin. Auf dem Platz Großer Stern im Tiergarten fand sich damals eine Ansammlung von Skulpturen, die Figuren aus der antiken Mythologie darstellten. Diese Statuen wurden im Berliner Volksmund als „Puppen“ bezeichnet. Da man am Wochenende häufi g einen langen Spaziergang vom alten Berliner Stadtkern bis zum Großen Stern unternahm, ergab sich die Beschreibung des weiten Weges „bis in die Puppen“. Im Laufe der Jahre wechselte die Bedeutung des Ausdrucks von einer räumlichen zu einer zeitlichen Dimension. Ein Grund dafür könnte sein, dass an den Wochenenden im Tiergarten auch ausgiebig gefeiert wurde und so die Verbindung zum Feiern bis in die Puppen entstand. Tanzen bis in die Puppen zelebriert das Tanzen ebenso wie die Musik und das Zusammenkommen. Dabei ist das Würzburger Tanzensemble in diesem Stück um zusätzliche Körper erweitert: zwölf einheitlich gestaltete Puppen, die verschiedene Bedeutungen annehmen können. Sie sind Tanzpartner oder Alter Egos, sie rufen Erinnerungen wach, an alte Bekannte, die Familie oder einstige Geliebte. Der Abend wird auch durch die besondere Atmosphäre der neuen Probebühne als Spielstätte bestimmt. In dem intimen Raum wird die Energie der Tänzerinnen und Tänzer für das Publikum greifbar. Es ist aber vor allem die Musikauswahl, die das energiegeladene Stück prägt. O’Days Playlist, mit Interpreten wie Iggy Pop, James Brown, Miles David oder Curtis Mayfield, ist verspielt humorvoll und zugleich voller Nostalgie und Pathos. Und sie tut vor allem eines: Sie regt zum Tanzen an!

Fantastisch und kurios – Alice im Wunderland

Als Alice im Garten einem weißen Kaninchen hinterherläuft, fällt sie durch seinen Bau und landet in einer Fantasiewelt. Dort begegnet sie einer Reihe wundersamer Figuren: Einer Grinsekatze, die immer wieder plötzlich unsichtbar wird, einem verrückten Hutmacher und einem Märzhasen, die sie zu einer Teeparty einladen, oder auch der Königin der Herzen, die liebend gerne jemandem den Kopf abschlagen lassen würde. Während Alice von einem wunderlichen Abenteuer ins nächste stolpert, lernt sie, zu ihren eigenen Überzeugungen zu stehen. Lewis Carolls "Alice im Wunderland" erschien 1865 und zählt inzwischen zu den Klassikern der Weltliteratur. Dabei begeistern Alices kuriose Abenteuer nicht nur Kinder, sie beflügeln die Fantasie von Leserinnen und Lesern jedes Alters und aller Fachrichtungen von Kunst bis Mathematik. Als eines der bekanntesten Werke des literarischen Nonsens, folgt die Geschichte keiner klaren Handlung, sondern rückt immer neue Charaktere in den Fokus. Dumais kreiert mit "Alice im Wunderland" ihren ersten Handlungsabend für das Tanzensemble des Mainfranken Theaters. Dabei lässt sie sich von den skurrilen Charakteren zu einem amüsanten und zugleich tiefgründigen Stück inspirieren. Musikalisch wird der Abend vom Perkussionskünstler Peter Hinz begleitet. Seine Komposition lässt die verschiedenen wunderlichen Figuren der Geschichte auch klanglich zum Leben erwachen, wobei er zugleich selbst Teil der Fantasiewelt wird.
Neue Horizonte – TanzXperiment No. 5 und No. 6

Mit der Reihe TanzXperiment wird den Tänzerinnen und Tänzern am Mainfranken Theater Würzburg die Möglichkeit geboten, eigene choreographische Arbeiten zu präsentieren. Der Wechsel zur Position der Choreografin beziehungsweise des Choreografen bringt viele neue Aufgaben mit sich, von der Entwicklung eines Konzepts und einer Choreografie bis zur Auswahl von Kostüm, Maske und Musik.
Mit "TanzXperiment: Homegrown" erhält das Publikum die Gelegenheit, die Tänzerinnen und Tänzer aus einer neuen Perspektive kennenzulernen. Das Tanzensemble freut sich, für seine sechste Expedition das Projekt MUNUS als Gast begrüßen zu dürfen. MUNUS ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Kulturverein Sonagnon, gegründet von Francesca Pedullà und Eric Acakpo, mit Sitz im westafrikanischen Benin, und dem italienischen Verein Architetture di Corpi, gegründet von Nuvola Vandini. Pedullà und Acakpo arbeiten seit mehr als zwanzig Jahren zusammen und erforschen in ihrer Arbeit die Auswirkungen, die das Zusammentreffen verschiedener Kunstformen und Kulturen haben kann. Architetture di Corpi legt den Fokus darauf, wie Tanz, Musik und darstellende Künste zu Instrumenten werden, mit denen neue Horizonte entdeckt und die Wahrnehmung der Realität erweitert werden können, in dem Versuch, individuellen und gemeinschaftlichen Fortschritt zu fördern. Neben einem gemeinsamen Improvisationsabend, an dem das Tanzensemble des Mainfranken Theaters mit seinen Gästen in einen kreativen wie kulturellen Austausch tritt, wird an einem weiteren Abend auch die Projekt-Arbeit Munus in der Probebühne vorgestellt.

Neue Gesichter 

Für die neue Spielzeit bekommt das Tanzensemble Verstärkung durch vier neue Mitglieder: Laura Heise erhielt ihre Ausbildung in Mainz und tanzte bisher unter anderen bei der Dresden Frankfurt Dance Company und am Landestheater Eisenach. Carl Hughes studierte an der Rambert School of Ballet and Contemporary Dance in London und war zuletzt Teil der Black Box Dance Company in Dänemark. Auch der Amerikaner Matthew Perko wird neues Ensemblemitglied am Mainfranken Theater. Er hat gerade sein Tanzstudium an der Glorya Kaufman School of Dance in Los Angeles abgeschlossen. Zhiyelun Qi studierte in Hong Kong und Salzburg und kommt nach Engagements an der Landesbühne Dresden und dem Konzert Theater Bern nach Würzburg.

Neuer Probenort

In den vergangenen Jahren bot die am Stadtrand gelegene Pleichachtalhalle in Versbach, umgeben von fränkischer Natur, einen ruhigen Ort für den kreativen Probenalltag der Tänzerinnen und Tänzer. In der neuen Spielzeit lockt nun die Rückkehr ins Stadtzentrum mit dem Einzug in das neu errichtete Tanzstudio des Mainfranken Theaters. Die große Glasfront zur Theaterstraße mit Blick in die Stadt und bis zur Festung ermöglicht ein Gefühl des Eingebettetseins im Würzburger Leben und schafft eine ungeahnte Nähe zum Publikum.
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